Instrumente des Financial Risk Managements

1. Risikosensibilisierung

Der ehemalige Chef der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, begründete die Unvorhersehbarkeit der Finanzkrise vor dem US-Kongress sehr banal u. a. so: Die Finanz- und Vermögenskrisen sind nur durch den Ausbruch der Finanzkrise 2008 entstanden. Und diese war nur deshalb nicht zu verhindern, weil ihre Entstehungsgeschichte bisher einmalig war. Das wäre in etwa so, als wenn man sich hinstellen und behaupten würde: „Ich habe eine gründliche statistische Untersuchung des Lebens von Angela Merkel durchgeführt. Bei fast 22.000 Beobachtungspunkten starb sie kein einziges Mal. Daher kann ich sie mit einem hohen Grad an statistischer Signifikanz für unsterblich erklären.“ Eine nicht zielführende Einstellung! 4, 9

Dinge, die in einem Bereich noch nie zuvor geschehen sind, passieren zumeist irgendwann doch. Die Geschichte lehrt uns, dass auch Dinge eintreten können, die niemals zuvor geschehen sind. Wir betrachten die historische Entwicklung als eine homogene Stichprobe und glauben, dass wir unser Wissen über die Zukunft durch Beobachtung der Stichprobe der Vergangenheit spürbar verbessern können. Was passiert, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben? 1.000 Tage können nicht beweisen, dass wir Recht haben. Doch ein einziger Tag kann beweisen, dass wir uns irren. 3

Häufig spielt bei falschen Vorhersagen Wunschdenken eine entscheidende Rolle.
Wir glauben, wir sind in unserem Beruf besser als andere. Das glauben jedoch die meisten in unserer Branche von sich. Wir sind in der Regel zu zuversichtlich im Hinblick auf das, was wir wissen. Wir schätzen unser Wissen und unterschätzen die Ungewissheit, indem wir den Bereich der möglichen unsicheren Zustände komprimieren (d. h. den Raum des Unbekannten verkleinern). Was wir nicht sehen, kann bedeutungsvoller sein und ist es in der Regel auch! Unvollständigkeit und Halbwissen sind immer gefährlich. 3, 6, 8

Die Abhängigkeit von historischen Daten ist der größte Mangel der Finanzwissenschaft. Im Durchschnitt werden Schwarze Schwäne, also unvorhersehbare Ereignisse, um den Faktor 33 unterschätzt! Die Leute im Risikomanagement halten lediglich solche Dinge für riskant, die ihnen in der Vergangenheit Nachteile einbrachten. Sie bemerken nicht, dass diese negativen Ereignisse in der Vergangenheit, bevor sie passierten, präzedenzlos gewesen waren und sich sämtlichen Standarderklärungen entzogen hatten. Anders als in wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen haben die Dinge im wirklichen Leben die Tendenz, sich zu verändern - sie verändern sich! 3, 8, 10

In der Geschichte der Finanzkrisen kann man immer wieder feststellen, dass ein Ereignis, das sich am Horizont erahnen lässt, irgendwann auch eintreten wird. Dennoch beharren viele führende Finanzexperten und auch Wissenschaftler bis zum Ausbrechen der Krise auf ihrer Überzeugung: Dieses Mal ist alles anders. Der Kern des „Dieses Mal ist alles anders-Syndroms“ ist einfach. Er besteht in der festen Überzeugung, dass Finanzkrisen nur anderen Menschen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten passieren. Jetzt, hier und bei uns kann es keine Krise geben. Wir machen alles besser, wir sind klüger, wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die alten Regeln der Bewertung haben ihre Gültigkeit verloren. Unglücklicherweise kann ein hoch verschuldetes Land viele Jahre unbemerkt mit dem Rücken am finanziellen Abgrund stehen, bevor das Schicksal und die Umstände eine Vertrauenskrise auslösen, die das Land in die Tiefe stürzen lässt. 5, 6

Viele Währungs-, Inflations-, Schulden- und Vertrauensphasen können sich auf einem mittleren Niveau einpendeln, bevor sie explodieren.
Die Fähigkeit der Regierungen und der Investoren, sich einer Täuschung hinzugeben und periodische irrationale Übertreibungen zu fördern, scheint sich nicht zu verändern. Dieses Mal mag zwar alles anders erscheinen, meistens wird bei einer eingehenden Betrachtung jedoch deutlich, dass nichts anders ist als sonst. 5, 11

Es gibt gute Gründe für die Vorsicht beim Einsatz von Geschichten. Schließlich ist es das Geschäft der (teils ferngesteuerten) Medien, Geschichten zu präsentieren, die die Leute gerne hören würden. Deshalb besteht eine Tendenz zur Überinterpretation ökonomischer Ereignisse! Deshalb können selbst Geschichten die Märkte beeinflussen, wenn überzogene Interpretationen die Realität verändern. Der Glaube an die wundersamen Kräfte des freien Marktes ist nur eine jener Geschichten, die dazu beigetragen haben, die Berg- und Talfahrt an den Börsen und in der Realwirtschaft anzuheizen. Wir müssen erkennen, dass die Geschichten, die sich die Leute über die Wirtschaft erzählen, Übertreibungen sind. 2, 6, 9

Spätestens seit der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an George Akerlof 2001 ist bekannt, dass der Mensch nicht der Homo oeconomicus ist, den man in ihm bis dahin immer sah. Juristen, Ökonomen, Ärzte und viele andere mussten einsehen, dass der Mensch nicht rational handelt, um seinen Nutzen zu maximieren. Denn dann gebe es keine Umweltzerstörung, keine Übergewichtigen, keine Raucher, keine Überschuldung, keine Insolvenzen, keine Rentenlücke im Alter, usw. 1, 2, 6, 7

Das Unvermögen, die Animal Spirits (unsere menschlichen Urinstinkte und die damit verbundenen Schwächen) in die Modellbildung einzubinden
, kann uns für die wahren Ursachen ökonomischer Probleme blind machen. Die Makroökonomie lässt irrationales Verhalten und nichtökonomische Motive außer Acht. Die Ökonomen bieten keinen Ansatz zur Erklärung der Übergänge zwischen Pessimismus und Euphorie. Trotzdem ist die traditionelle Sichtweise der Volkswirtschaftslehre ungemein populär. Das Problem mit den Experten ist, dass sie nicht wissen, was sie nicht wissen. Bei ihnen kommen fehlendes Wissen und Verblendung im Hinblick auf die Qualität ihres eigenen Wissens zusammen. 2, 3, 4, 6

Das Problem in einer Demokratie ist,
dass der Hauptansporn darin besteht, grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen ein besseres Ergebnis in Aussicht zu stellen als der Konkurrent! Der Mensch ist aufgrund seiner genetischen Programmierung, seiner biologischen Voraussetzungen ein Gegenwartswesen. Seine Entscheidungen sind keineswegs rational, sondern stets emotional bestimmt und durch das botenstoffgesteuerte Belohnungssystem dominiert. Erst wenn wir akzeptieren, dass der Mensch in seinen alltäglichen Entscheidungen so gut wie immer auf seinen kurzfristigen Vorteil bedacht ist, auch wenn es langfristig für ihn und andere Nachteile bedeutet, erst dann wird der Weg für echte Lösungen frei. 1, 6, 7

In den allermeisten Fällen werden nicht vorhandene Nachweise für Risiken mit dem Nachweis des Nichtvorhandenseins verwechselt. Solange die Menschen nicht darin geschult werden, beim Fehlen von Beweisen kein Urteil abzugeben, werden sie sich von anmaßenden Propheten in die Irre führen lassen. Prognosen verführen zu Risiken. Menschen nehmen mehr versteckte Risiken auf sich, wenn sie sich auf Vorhersagen stützen. Vorhersagen sind in der Regel nicht neutral. Sie haben Nebenwirkungen. Sie können sich auf die Risikonehmer ganz direkt schädlich auswirken! 3, 4, 6, 8

Wir können die Welt zwar immer besser durch Modelle erfassen, doch das verblasst leider angesichts ihrer zunehmenden Komplexität, sodass dem Nichtvorhergesagten eine immer größere Rolle zukommt. Wir wissen zweifellos eine ganze Menge. Von Natur aus glauben wir aber, wir wüssten mehr, als wir tatsächlich wissen. Solche Fehleinschätzungen können uns immer wieder in ernste Schwierigkeiten bringen! Warum sehen wir nicht, dass uns die großen Ereignisse (fast) immer entgehen? 3, 4, 5, 6, 8, 9

Wir lernen aus Wiederholungen, auf Kosten von Ereignissen, die es bisher noch nicht gegeben hat. Ereignisse, die nicht wiederholbar sind (weil es sie bisher noch nicht gegeben hat), werden vor ihrem Eintreten ignoriert und danach eine lange Zeit überschätzt. Stabilität und das Ausbleiben von Krisen führen dazu, dass die Leute Risiken eingehen, selbstgefällig sind und sich der Möglichkeit von Problemen weniger bewusst sind. Dann kommt es zu einer Krise und die Leute sind erschüttert und haben Angst davor, ihr Geld zu investieren. 3, 7, 9

Menschen überschätzen ihr Wissen und unterschätzen die Wahrscheinlichkeit ihrer Fehlannahmen. Wir sehen Fehler bei anderen, aber nicht bei uns selbst. Wir sind Meister bei Selbsttäuschung. Wer nach Bestätigung sucht, wird immer genug finden, um sich selbst zu täuschen. Es ist eine Illusion, wenn man sich einbildet zu wissen, was in einer Welt vor sich geht, die sich immer komplexer, komplizierter und zufälliger entwickelt, als einem bewusst ist. 6, 9

Geringe Wahrscheinlichkeiten sind äußerst anfällig für Fehler, denn eine kleine Veränderung bei den Voraussetzungen kann dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit dramatisch ansteigt. Für winzige, sehr kleine Wahrscheinlichkeiten benötigt man eine fast unendliche Präzision bei den Parametern. Die kleinste Ungewissheit in diesem Bereich verursacht Chaos! 3, 4, 8, 10

Fatalerweise ist es fast unmöglich, den Menschen zu vermitteln, dass jede Messung fehlerbehaftet ist.
Der Zwischenfall in Fukushima, von dem man annahm, er würde nur einmal in einer Million Jahren vorkommen, verwandelt sich zu einem Ereignis, das einmal in 30 Jahren auftritt. Fehler sind mit Fehlern behaftet, die ihrerseits Fehler aufweisen. Im Allgemeinen sind Fehlschläge informativer als Erfolge und Bestätigungen. Da Fehlschläge zu selten thematisiert werden, werden Investoren dazu verführt, ihre Erfolgsaussichten zu überschätzen. 3, 9, 10

Einem durch Zinseszins anwachsenden Geldvermögen muss eine gleichermaßen wachsende Verschuldung gegenüberstehen. Das Geldvermögen des einen ist meistens eine Schuld des anderen - beides sind zwei Seiten derselben Medaille. Geldmengen und Schulden sind durch unser Zinseszinssystem zu dauerndem Wachstum verdammt. Genau dies muss man als eine ernst zu nehmende Konstruktionsschwäche unseres Geldsystems bewerten. Leider wird dieser Schwäche bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen empört man sich über deren Symptome. Regierungen sind immer nur so lange zahlungsfähig, wie sie ausreichend neue Kredite zu akzeptablen Bedingungen bekommen können. Inakzeptabel ist, wenn viele Ökonomen uns weismachen wollen, dass Staatsschulden mithilfe von Wirtschaftswachstum allein abgebaut werden können. Wenn wir in einem System leben, in dem sich die Preise und die Animal Spirits wechselseitig beeinflussen, ist unsere Welt sehr schwer vorherzusagen. 2, 5, 6, 7, 12, 13

Weshalb steuert das Finanzsystem auf sein Finale zu? Erstens führt die Leichtigkeit der Geldherstellung dazu, dass mehr Geld und Schulden gemacht werden, als zur Finanzierung der Realwirtschaft eigentlich nötig wären. Zweiter Grund ist der systembedingte Wachstumsdruck für Geld und Schulden, gespeist aus dem Anhäufen von Geldvermögen und dem Zinseszinseffekt. Diese beiden Faktoren sorgen dafür, dass Geld- und Schuldenmenge zu stetem Wachstum verdammt sind, was irgendwann einmal korrigiert werden muss. Drittens kommt das zu geringe haftende Eigenkapital der Banken dazu. Es trägt durch den Titanic-Effekt (zu wenig Rettungsboote) zu einer zusätzlichen Destabilisierung bei. 13

Die Portfoliotheorie drängt den Anleger zur Optimierung, also zur Überbelastung. Sie bewegt Anleger nicht dazu aufgrund der Diversifizierung weniger Risiko einzugehen, sondern lässt sie aufgrund des Eindrucks ausgleichender statistischer Eigenschaften mehr offene Positionen einnehmen. Das macht sie anfällig für Modellfehler und besonders anfällig für die Unterstützung von Extremereignissen. Sie müssen bedenken, wir leben in einer immer komplexer werdenden Welt, die langfristig nicht planbar ist. Nur in Traumwelten sind die Statistikmethoden anwendbar, die zur Gauß‘schen Glockenkurve zählen (Durchschnittsbildung, Standardrisiko, Value at Risk, Sharpe-Ratio, Sigma, Varianz, Standardabweichung, Korrelation, quantitatives Risiko etc.). 3, 8, 9

Wir respektieren das, was passiert ist, ignorieren aber das, was hätte passieren können. Aktieninvestoren, die das Glück hatten, Gewinne einzufahren, unterschätzen im Rückblick in der Regel das tatsächliche Risikopotenzial der damaligen Situation. Das ist genauso, als würde jemand russisches Roulette spielen und das als gute Idee ansehen, weil er überlebt hat und das Geld einsacken konnte. Die Immobilienmärkte sind beinahe ebenso unberechenbar wie die Aktienmärkte (Quelle: Handelsblatt vom 13.6.2014), hier stehen dieselben Animal Spirits im Fokus. Fremdfinanzierte Investitionen können sich als katastrophaler Fehlschlag erweisen, wenn die Preise sinken und/oder die Finanzierungskosten zu sehr steigen. 2, 3, 8, 9, 10

Wer sich nicht die Mühe macht, die zukünftige Entwicklung seines Umfeldes und die Auswirkungen seiner Entscheidungen auf seine eigene Zukunft zu betrachten, bringt sich um Orientierung, Sicherheit und Chancen und oft um die wirtschaftliche Existenz. Risikosensibilisierung ist einer Risikoblindheit immer vorzuziehen.1, 4

Wenn unsere Denk- und Arbeitsweise Ihre Vorstellungen trifft oder Sie mehr über uns oder das Kolodzik Financial Risk Management System wissen wollen, dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme. Wir nehmen Ihre Herausforderung gern an.

Quellenverzeichnis:

  1. Wie wir uns täglich die Zukunft versauen (Pero Micic)
  2. Animal Spirits: Wie Wirtschaft wirklich funktioniert (George Akerlof, Robert Shiller)
  3. Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse (Nassim Taleb)
  4. Der Schwarze Schwan: Konsequenzen aus der Krise (Nassim Taleb)
  5. Dieses Mal ist alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen (Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff)
  6. Schnelles Denken, langsames Denken (Daniel Kahneman)
  7. Irrationaler Überschwang: Warum eine lange Baisse an der Börse unvermeidlich ist (Robert J. Shiller, Irwin L. Collier und Brigitte Kleidt)
  8. Narren des Zufalls: Die unterschätzte Rolle des Zufalls in unserem Leben (Nassim Taleb)
  9. Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (Nassim Taleb)
  10. Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (Gerd Gigerenzer)
  11. Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog (Christopher Clark)
  12. Vergesst die Krise: Warum wir jetzt Geld ausgeben müssen (Paul Krugman)
  13. Die Wahrheit über Geld: Wie kommt unser Geld in die Welt - und wie wird aus einem Kleinkredit ein großer Finanzcrash? (Raimund Brichta und Anton Voglmaier)
  14. 30 Dreiste Lügen über Geld: Befreie dein Leben - Rette dein Geld (Peter Koenig)
  15. Die Euro-Bombe wird entschärft (Wilhelm Hankel)